mit
Gaby Dey, Florian Eppinger, Stella Maria Köb,
Moritz Schulze, Judith Strößenreuter, Leonard Wilhelm
Regie: Isabel Osthues
Bühne: Jeremias Böttcher
Kostüme: Mascha Schubert
Video/Sound: Severin Renke
Bühne: Jeremias Böttcher
Kostüme: Mascha Schubert
Video/Sound: Severin Renke
Manchmal scheinen sie zu verblassen, die Spuren der Vergangenheit. Manche Menschen würden sie sogar sehr gern verdrängen und einen Schlussstrich ziehen. Doch ganz verschwinden werden diese Spuren niemals. Sie können überall sichtbar werden, sogar in den vier Wänden, in denen man lebt. Eine junge israelische Violinistin, die in Amsterdam wohnt, findet einen Brief vor ihrer Haustür. Es handelt sich um eine seit 1944 unbeglichene Gasrechnung. Die Frau versucht, den eigentlichen Adressaten und die Umstände der unbezahlten Rechnung ausfindig zu machen. Ihr Nachbar Jan scheint mehr zu wissen, als er zugibt, aber reden will er nicht. Hat er ihr den Brief vor die Tür gelegt? Die Suche gestaltet sich ebenso komplex wie geheimnisvoll und konfrontiert die Protagonistin einerseits mit den historischen Ereignissen, die sich in ihrem Wohnhaus zur NS-Zeit zugetragen haben, und andererseits mit ihrer eigenen Identität und Herkunft. Im Laufe ihrer Nachforschungen fühlt sich die junge Frau zunehmend fremd in ihrer Umgebung, die durchaus feindselig auf die Konfrontation mit der Vergangenheit reagiert. Die Gesellschaft in Amsterdam scheint weltoffen und multikulturell zu sein, doch warum spürt sie im Supermarkt plötzlich die misstrauischen Blicke und nimmt wahr, dass sie anders behandelt wird als andere Kund*innen? Maya Arad Yasur lässt in »Amsterdam« viele Stimmen sprechen, die auf die Protagonistin einwirken, ihre Suche voranbringen, Spuren aufdecken und auch verwischen. Was ist damals passiert und wie wirkt das damals Passierte auf heute? Die Vielstimmigkeit löst sich vom Einzelnen und verweist auf die Gesamtgesellschaft. Die Autorin schlägt einen spannenden Bogen von der Vergangenheit in die Gegenwart und befragt auf kritische wie poetische Weise, wie Geschichtsschreibung entsteht und wer die Hoheit über diese hat. Erinnerung ist schließlich immer auch Fiktion. Wer bestimmt diese Narrative der Erinnerung und woran wir uns als Gesellschaft erinnern? Yasur verweist bestimmt, aber auch mit subtilem Humor auf blinde Flecken der Gesellschaft in Zusammenhang mit der Aufarbeitung unserer Geschichte. Sind wir so offen, wie wir denken, und dürfen wir den Anspruch verfolgen, die Vergangenheit bewältigen zu können?
Presse
Wer zahlt die Gasrechnung?
(...) »Wie ein Erzähltheater ist das Stück angelegt, die Akteure erzählen von den Ereignissen. Genau so hat Osthues den Stoff auch inszeniert. Sehr präzise hat sie ihr Ensemble angeleitet und die intelligent entworfene Geschichte ebenso auf die Bühne gebracht. Die Spannung steigert sich von Minute zu Minute bis hin zum großen Knall.
Den gab es vorher schon – im Bühnenbild. Das hat Jeremias Böttcher entworfen, dem dabei Erstaunliches gelungen ist (…) Und was auf der Bühne tatsächlich passiert, dafür sind die Akteure Gaby Dey, Florian Eppinger, Stella Maria Köb, Moritz Schulze, Judith Strößenreuter und Leonard Wilhelm verantwortlich. Wie in einem Orchester vereinigen sich ihre Stimmen zu einem großen rhythmischen Erzählkonzert. Sie entwickeln hochkonzentriert und perfekt aufeinander abgestimmt den Plot, der Vergangenes und Gegenwärtiges so verblüffend logisch und theatral miteinander verbindet.
(…) Eineinhalb sehr intensive Stunden, vielschichtig, poetisch, manchmal sogar auch lustig. Ein ganz starkes Stück mit Schauspielerinnen und Schauspielern, die auf hohem Niveau agieren. Ein herausragender Abend.«
Peter Krüger-Lenz, Göttinger Tageblatt 9.10.2023
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Geschichte ist nie zu Ende erzählt
»Das Bühnenbild ist wunderbar gelungen mit eindrücklichen Effekten (Jeremias Böttcher), die den Zuschauenden auf eine Reise durch Raum und Zeit der NS-Geschichte nimmt (...) Trotz der Ernsthaftigkeit des Themas gelingt es dem Ensemble den Abend mit einer angenehmen Leichtigkeit, ohne belehrenden Zeigefinger, zu spielen. Diese erfrischende Darstellungsweise bescheren uns nicht nur die bekannten Schauspielenden des Deutschen Theater Göttingen wie Judith Strößenreuter, Florian Eppinger, Moritz Schulze und Gaby Dey, sondern auch die besondere Präsenz von Stella Maria Köb und der sich nahtlos ins Ensemble einfügende Leonard Wilhelm machen diesen Abend besonders sehenswert«.
Ingrid Rosine Floerke, Scharfer Blick/Kritiker*innenclub 7.10.2023
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Lang anhaltender Applaus am Deutschen Theater in Göttingen für die Premiere des preisgekrönten Bühnenstückes „Amsterdam“.
(...) „Amsterdam“ im Deutschen Theater in Göttingen: Starke Leistung der Regisseurin
Osthues Regieleistung liegt in den verbalakrobatischen Dialogen und einer akribischen und doch natürlich anmutenden Choreografie. Dabei entfalten sich ungemein eindringliche Bilder.
Wenn etwa der harmlose Frauenarzt (Moritz Schulze) auf erschreckende Weise einem Metzger oder KZ-Arzt ähnelt, während die Geigerin (Judith Strößenreuter) auf den pochenden Herzschlag ihres ungeborenen Kindes lauscht.
Wenn zugleich eine Kontrastfigur (Stella Maria Köb) hingebungsvoll zu Metronomen tanzt, während der Gynäkologe (Leonard Wilhelm) schwankend erstarrt und sich in ein lebendiges Metronom verwandelt, bis auch andere in das herzlose Ganzkörper-Ticken einfallen.
Wenn etwa der harmlose Frauenarzt (Moritz Schulze) auf erschreckende Weise einem Metzger oder KZ-Arzt ähnelt, während die Geigerin (Judith Strößenreuter) auf den pochenden Herzschlag ihres ungeborenen Kindes lauscht.
Wenn zugleich eine Kontrastfigur (Stella Maria Köb) hingebungsvoll zu Metronomen tanzt, während der Gynäkologe (Leonard Wilhelm) schwankend erstarrt und sich in ein lebendiges Metronom verwandelt, bis auch andere in das herzlose Ganzkörper-Ticken einfallen.
DT-Premiere begeisterte das Publikum - Auch Bühnenbild und Kostüme überzeugen (Bühne: Jeremias Böttcher, Kostüme: Mascha Schubert)
Plötzlich schwankt sogar die hohe Kulissenwand oder ist das nun der Boden, unter dem ein anderes Narrativ liegt? „Heldenhaft, standhaft, barmherzig“, skandiert eine Stimme. Im 1947 entworfenen Wappen der Stadt Amsterdam prangen diese Attribute.
Aber seismografisch erspüren die Spieler darunter ein zweites Narrativ, das eines bürokratischen Apparats, dessen Beamtenmentalität es den Nazis erlaubte, sozusagen mit Taktgefühl unmenschlich zu sein. Aber Yasurs Suche beginnt da, wo andere Stücke über die NS-Zeit aufhören. Denn wieder schwankt der Boden, öffnen sich Luken, ahnt der Zuschauer einen näher kommenden Abgrund.
Aber seismografisch erspüren die Spieler darunter ein zweites Narrativ, das eines bürokratischen Apparats, dessen Beamtenmentalität es den Nazis erlaubte, sozusagen mit Taktgefühl unmenschlich zu sein. Aber Yasurs Suche beginnt da, wo andere Stücke über die NS-Zeit aufhören. Denn wieder schwankt der Boden, öffnen sich Luken, ahnt der Zuschauer einen näher kommenden Abgrund.
„Amsterdam“ erzählt ein historisches und bewegendes Frauenschicksal - dafür gibt es viel Applaus
Gebannt folgen die knapp 500 Besucher dem zweistündigen fragmentierten Erzählfluss. Poetische Momente (bärenstark Florian Eppinger) und alltäglich-komische Wendungen (Gaby Dey) verhindern ein Abdriften in Klischees oder falschen Pathos. Keine breite Abrechnung, nur eine einzige Rechnung bildet das Leitmotiv, eine (…) Gasrechnung, die bis nach Auschwitz führt. (…)
Zuletzt stoßen die fieberhaft Suchenden auf ein historisches Frauenschicksal, das auf berührende Weise mit dem der Protagonistin einer gemeinsamen Symmetrieachse folgt.
So viele Geistesblitze, da muss es donnernden Applaus im Publikum geben und der währt lange.
Zuletzt stoßen die fieberhaft Suchenden auf ein historisches Frauenschicksal, das auf berührende Weise mit dem der Protagonistin einer gemeinsamen Symmetrieachse folgt.
So viele Geistesblitze, da muss es donnernden Applaus im Publikum geben und der währt lange.
Andreas Erdmann - Die Hessische/Niedersächsische Allgemeine